Sa., 30.04.2022 , 06:27 Uhr

Baden-Württemberg: Land will Holz-Highway für Radler bauen

Es funktioniert so ähnlich wie das Stecksystem einer Spielzeug-Autorennbahn: In Zusammenarbeit mit einem Schweizer Start-up soll Radverkehr im Südwesten künftig auch in die Luft verlegt werden. Die sogenannten Bike Highways vom Schweizer Unternehmen URB-X spannen sich in fünf Meter Höhe über den restlichen Verkehr, zweispurig und ganz ohne Kreuzungen. Sie werden aus vorgefertigten Holz-Modulen gebaut. Bei mindestens einem Radschnellweg in der Region Stuttgart wolle man die Technologie nun anwenden – «und zeigen, was da geht», kündigte Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) am Freitag in Basel an.

Die Strecke solle mindestens einen Kilometer lang sein. «Das macht man nicht für 100 Meter, weil das ja ein steiler Anstieg ist», sagte er.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigte sich in Basel begeistert von der Idee. «Sowas genau brauchen wir», sagte der Grünen-Politiker. «Wir haben riesige Stauprobleme zum Beispiel in Stuttgart. Da kommen wir nur weg, wenn wir solche innovative Ideen umsetzen.» Der Regierungschef machte sich mit Ministern als Teil einer Schweiz-Reise in Basel ein Bild von nachhaltigen jungen Firmen.

Die Highways bieten Spuren in beide Fahrtrichtungen und einen rutschfesten Belag. Weil der im Winter zudem beheizt werde, sei die Hochstraße das ganze Jahr über nutzbar, warb Klaus Kirchmayr vom Unternehmen URB-X für sein Projekt. «Es ermöglicht ein sicheres Gleiten über eine größere Distanz.»

Kirchmayr sprach von einem unaufhaltsamen Fahrradboom. «Es gibt einen immensen Nachholbedarf für eine leistungsfähige Rad-Infrastruktur», sagte er. Radstreifen oder Radwege würden aber nicht reichen. Es brauche Radexpresswege. «Aber Städte sind gebaut, Straßen existieren, und jeder kennt die Konflikte, die entstehen, wenn wir irgendwas neu bauen.» Deshalb ab nach oben mit der Infrastruktur, so die Logik.

In Baden-Württemberg könnten die Fahrrad-Highways Strecken auf geplanten Radschnellwegen ergänzen, vor allem in Städten. Bis 2030 will das Land 20 Radschnellwege bauen – je 20 bis 30 Kilometer lang, Kostenpunkt: etwa eine halbe Milliarde Euro. «Ziel ist es, in allen Metropolregionen solche Radschnellwege hinbekommen, weil wir anders die Stauprobleme nicht wegbekommen», sagte Kretschmann. «Die Menschen müssen sich zudem klimafreundlich bewegen.» Auf den Holz-Highways könnten die Radler schnell durch die Städte fahren.

«Alle diese Radschnellwege bekommen in Ballungsräumen ein Problem», sagte Hermann. Der ganze Platz sei schon verplant, und um wirklich schnell auf einem Radschnellweg zu fahren, dürfen keine Kreuzungen im Weg sein. «Kreuzungen machen jeden schnellen Radweg kaputt», sagte er. Es sei etwa schwierig, den Radschnellweg von Mannheim nach Heidelberg durch die Heidelberger Innenstadt weiterzuführen. Bei Esslingen führten Radwege und Fußwege durch einen Park am Neckar, da gebe es ebenfalls keinen Platz. «Wenn wir in die Höhe gehen, wäre das Problem gelöst», sagte Hermann.

Zwar sei eine Brücke stets teurer, als wenn man auf dem Boden weiterfahre, räumte Hermann ein. Aber gerade die Radschnellwege brauchten Brücken und Hochstraßen. Er wolle auch nicht ganze Radschnellwege als Holz-Hochstraßen bauen. «Aber dort, wo es keinen Platz gibt, da schon.» Das Projekt sei nachhaltig. Das Holz stamme aus der Region, die Modulbauweise ermöglicht raschen Bau und einfache Wartung. Beschädigte Komponenten ließen sich schnell ausbauen.

«Man muss die Strecke nicht monatelang sperren, wenn was kaputt ist», sagte auch Kirchmayr. Das Material sei wiederverwendbar und nachhaltig. Man spare pro Kilometer Strecke 3000 Tonnen Kohlendioxid – kurz CO2 – gegenüber der herkömmlichen Bauweise aus Beton oder Stahl. Zudem produzierten die Highways Energie, an den Seiten würden Solarpanels großflächig verbaut. Ein Kilometer Strecke produziere so Strom für 100 bis 200 Haushalte, sagte Kirchmayr. Eine solche Radexpress-Infrastruktur könne laut einer Simulation bis zu 50 Prozent aller Pendlerwege aufs Rad bringen, berichtete er.

Doch das ganze Projekt steckt noch in den Startlöchern. Hermann berichtete, seine Experten hätten noch Bedenken, dass das Holz schimmeln könnte und dann nach 30 Jahren abgerissen werden müsse. Brücken könnten vor allem über Wasser feucht werden. Das müsse man noch lösen. Sind die Südwest-Verkehrsplaner also doch auf dem Holzweg?

Hermann wünscht sich, dass der erste Holz-Highway noch in dieser Legislaturperiode befahrbar sein wird. Ob das klappt, ist völlig offen. In Baden-Württemberg stockt der Ausbau der Radschnellwege erheblich. Hermann sieht die Ursache in langatmigen Abstimmungsprozessen, Planfeststellungsverfahren und vielen Bedenkenträgern. Er will sich, so die Ankündigung, nun regelmäßig den Stand der Projekte vorlegen lassen und die Prozesse engmaschiger kontrollieren.

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