Do., 13.06.2024 , 09:08 Uhr

Baden-Württemberg: Zahl der „Reichsbürger“ im Südwesten nimmt zu - Frauenanteil steigt

Die Logik der «Reichsbürger» lautet: Weil das historische Deutsche Reich fortbestehe, besitze die Bundesrepublik keine Legitimität. Abwegig? Nicht für alle. Denn die Zahl der Anhänger nimmt zu.

Stuttgart. Die Zahl sogenannter Reichsbürger und Selbstverwalter ist laut Verfassungsschutz in Baden-Württemberg gestiegen. Im vergangenen Jahr nahm sie nach Schätzungen der Sicherheitsbehörde um 200 Männer und Frauen auf insgesamt rund 4000 erfasste Anhänger zu. Auffällig sei unter anderem der höhere Frauenanteil, heißt es unter anderem im Verfassungsschutzbericht 2023, den Landesinnenminister Thomas Strobl (CDU) am Donnerstag (10.00 Uhr) öffentlich vorstellen will. Lag der Anteil bislang bei etwas weniger als einem Drittel, so legte er demnach im Vergleich zum Vorjahr deutlich auf 38 Prozent zu. Ursache dürfe vor allem die Zeit der Corona-Proteste sein, analysieren die Verfassungsschützer.

Teile der Bewegung können gewalttätig werden

Grundsätzlich berufen sich «Reichsbürger» darauf, dass das 1871 mit einem Kaiser an der Spitze gegründete historische Deutsche Reich fortbestehe und nicht mit Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 untergegangen sei. Deshalb erkennen sie die Bundesrepublik Deutschland nicht an – und auch nicht deren rechtsstaatliche Strukturen wie Parlament oder Gesetze. Sie wollen auch keine Steuern, Bußgelder oder Sozialabgaben zahlen.

Die gesamte Bewegung gilt als sicherheitsgefährdend und wird seit Herbst 2016 vom Verfassungsschutz beobachtet. Bundesweit wird die Zahl der «Reichsbürger» auf mehr als 23 000 geschätzt. Das Landesamt stuft rund zehn Prozent der baden-württembergischen Anhänger als gewaltorientiert ein. Da der Staat in den Augen der «Reichsbürger» und «Selbstverwalter» willkürlich und «rechtswidrig» handele, leiteten sie daraus das Recht beziehungsweise die Pflicht ab, sich gegen diesen zur Wehr zu setzen. «Bei „Reichsbürgern“ und „Selbstverwaltern“ ist eine Gewaltanwendung grundsätzlich einzukalkulieren», warnt die Sicherheitsbehörde. Eine langfristig geplante Gewalt sei allerdings eher selten.

Zunehmende Radikalisierung

Ein Teil der Protestbewegung hat sich dem Bericht zufolge auch weiter radikalisiert. Die baden-württembergische Szene bestehe zu drei Vierteln aus Einzelpersonen, rund 25 Prozent hätten sich zusammengeschlossen. Es gebe aber eine hohe Anschlussfähigkeit zu anderen Milieus, wie dem der sogenannten «Querdenker». Der Bericht führt zudem Mischszenen unterschiedlicher extremistischer Strömungen auf. So würden beispielsweise Ansichten der «Reichsbürger» mit jenen der antisemitischen und staatsfeindlichen «QAnon»-Bewegung angereichert. Diese Szenen, deren Erzählungen sich zum Teil leicht kombinieren und erweitern ließen, erreichten und beeinflussten auch die demokratische Mitte, warnen die Verfassungsschützer.

«Die Grenzen zwischen den Phänomenbereichen werden zunehmend durchlässiger», analysiert der Verfassungsschutz. «Alle drei stellen mögliche Auffangbecken für politisch frustrierte, sich radikalisierende Einzelpersonen dar.» Losgelöst von der jeweiligen ideologischen Ausrichtung glauben Anhänger der Bewegungen an Verschwörungsideologien.

Auch «Selbstverwalter»-Bewegung wächst 

Einige von ihnen sehen sich auch als Staatsoberhäupter ihres eigenen kleinen Reiches mit eigenen Ausweisen und Nummernschildern. Die Gruppe dieser sogenannten «Selbstverwalter» ist laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr spürbar größer und auch aktiver geworden. So bauten die bereits starken Gruppierungen «Königreich Deutschland» (KRD) und «Indigenes Volk Germaniten» (IVG) ihre Parallelstrukturen weiter aus und werden dabei zunehmend selbstbewusster, warnen die Sicherheitsexperten. Im vergangenen Jahr hätten sich wiederholt Mitglieder des KRD «wie selbstverständlich» mit ihrer «KRD-Identitätskarte» statt des Personalausweises ausgewiesen. Derzeit geht das Landesamt für Verfassungsschutz von einer dreistelligen Zahl an Unterstützern im Südwesten aus. Beim IVG schätzt die Behörde die Zahl der Mitglieder auf rund 120 – Tendenz steigend.

Derzeit sorgen wiederholte Durchsuchungen im Zusammenhang mit der mutmaßlichen Terrorgruppe um den «Reichsbürger»-Ideologen Heinrich XIII. Prinz Reuß für Schlagzeilen. Zuletzt waren Beamte des Bundeskriminalamts (BKA) und der Landespolizei Baden-Württemberg unter anderem in einem Waldgebiet bei Bad Teinach-Zavelstein (Kreis Calw) im Einsatz. Bei einer Razzia in drei Bundesländern gegen mutmaßliche Unterstützer der «Reichsbürger»-Gruppe hatte ein Großaufgebot der Polizei insgesamt sieben Objekte und drei Grundstücke in Baden-Württemberg, Sachsen und Schleswig-Holstein durchsucht.

Ein Prinz als Staatsoberhaupt

Öffentlich bekanntgeworden war die Gruppe um Prinz Reuß infolge einer großangelegten Anti-Terror-Razzia Ende 2022. Dutzende Menschen wurden seitdem in dem Zusammenhang festgenommen. Die Beschuldigten sollen vorgehabt haben, das politische System in Deutschland zu stürzen. Sie hätten bewusst Tote in Kauf genommen, meint die Anklage. In Grundzügen sollen sie schon Strukturen für eine eigene Staatsordnung ausgearbeitet haben. Als Staatsoberhaupt hätte Prinz Reuß fungieren sollen.

An den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main und Stuttgart laufen schon Prozesse dazu. Ab dem 18. Juni beginnt auch in München ein Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung. (dpa)

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