Sa, 30.04.2022 , 06:59 Uhr

Hessen: Jobcenter verlieren in Corona-Pandemie häufig Kontakt zu Kunden

In Hessen sind laut Statistischem Landesamt rund 500 000 Menschen im Hartz-IV-Bezug. Das entspricht etwa acht Prozent der Gesamtbevölkerung des Bundeslandes. Bei ihrem Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt sollen die Jobcenter unterstützen. Doch der Kontakt zu den Kunden ist während der Corona-Zeit nicht selten abgebrochen. «Das Problem gab es schon vorher, hat sich während der Pandemie aber verschärft. Viele Kunden sind in der Zeit abgetaucht», sagt Cornelia Hellmer vom Jobcenter Stadt Kassel. Die Gründe dafür seien vielfältig, häufig spiele eine körperliche oder psychische Erkrankung eine Rolle.

Rund 370 abgebrochene Kontakte hat das Jobcenter Kassel bislang zusammengetragen. Um diese Leistungsbezieher wieder zu erreichen, setzt es auf aufsuchende Beratung. Seit Anfang April besuchen drei Integrationsbeauftragte die Betroffenen in ihrem privaten Umfeld. «Wir informieren sie zunächst schriftlich, dass eine Mitarbeiterin in den nächsten Tagen bei ihnen Zuhause vorbeikommt, um zu sehen, ob es ihnen gut geht», erläutert Hellmer. Niemand werde überrumpelt. Mit der Resonanz ist die Teamleiterin sehr zufrieden. «Wir hatten in den ersten vier Wochen eine Erreichbarkeitsquote von 40 bis 50 Prozent. Darüber sind wir sehr glücklich.»

Auch die Aufgesuchten äußerten sich häufig positiv über das neue Projekt – nur selten würden die Besuche verweigert. «Es gibt oft sehr lange und intensive Gespräche», berichtet Hellmer. Die Integrationsberaterinnen hätten ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte der Menschen. Ziel sei es, den Kontakt zu ihrem Hauptbetreuer im Jobcenter wieder aufzubauen. Wer über die Belange des Jobcenters hinaus Hilfe braucht, könne zudem für zunächst vier Monate einen Coach zur Seite gestellt bekommen, der bei individuellen Problemlagen und Fragestellungen des täglichen Lebens unterstützt.

Auch andere Jobcenter in Hessen berichten von Kontaktabbrüchen. Die Tendenz habe sich auch schon vor Corona gezeigt, sich in der Zeit aber manifestiert, teilt etwa das Kommunale Jobcenter der Stadt Wiesbaden mit. «Hierdurch besteht die Gefahr, dass sich bei diesen Kunden die Arbeitslosigkeit verfestigt und auch eine soziale Teilhabe kaum mehr möglich ist», sagt Sprecherin Alexandra Lederer. Man wirke dieser Entwicklung mit verschiedenen Maßnahmen entgegen, bei denen die Kunden aktiv persönlich angesprochen werden, darunter telefonische Kontaktversuche und Hausbesuche. Zudem habe die Stadt Bildungsträger aufgerufen, Ideen und Vorschläge für passgenaue Maßnahmen zu entwerfen.

«Auch wir haben festgestellt, dass während der Pandemie der Kontakt zu einigen Kundinnen und Kunden abgebrochen ist, auch aktuell fallen noch viele Termin aus», sagt Marco Röther, Pressesprecher des Jobcenter Gießen. Als Gründe würden meistens die allgemeine Corona-Situation oder explizit die Angst vor Infektionen angegeben. Die Behörde habe allerdings frühzeitig die Bedingungen geschaffen, um coronakonform zu Beratungsgesprächen einladen zu können und darauf auch explizit hingewiesen. Zudem habe sie Videoberatung eingeführt und fördere verschiedene Projekte bei lokalen Bildungsträgern, die darauf abzielen, den Kontakt zu nichterreichbaren Leistungsbeziehern wieder herzustellen.

Auf verstärkte Video- und Telefonberatung setzt auch das Jobcenter Frankfurt. Zudem habe es die Servicebüros coronagerecht eingerichtet und die Kundinnen und Kunden auch während der Pandemie persönlich eingeladen und beraten, sagt Pressesprecherin Zeineb Ben Othman.

Im Jobcenter Darmstadt hat man den Kontakt trotz Pandemie gut halten können. Auf eine schriftliche Einladung zu einem Telefonat oder eine Videokonferenz hätten im Schnitt 70 Prozent der Kunden reagiert, sagt Harald Claar, Bereichsleiter Markt und Integration. «Das ist ein erstaunliches Ergebnis.» Zuvor seien in der Regel nur etwa 30 bis 40 Prozent der Kunden einer Einladung zum persönlichen Gespräch im Jobcenter gefolgt. Der Griff zum Hörer sei einfacher als der Weg zur Behörde, die Hemmschwelle bei einem Telefonat geringer als im persönlichen Gespräch, vermutet Claar. Zudem seien pandemiebedingt zahlreiche Kunden erstmals mit dem Jobcenter konfrontiert gewesen. «Für viele war das ein schwerer Gang.» In einem ersten Telefonat hätten Ängste genommen werden können, um dann ein persönliches Treffen zu vereinbaren.

Viele Kunden hätten ein ambivalentes Verhältnis zum Jobcenter, meint der Sozialverband VdK Hessen-Thüringen. Einerseits biete die Behörde Hilfe zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, andererseits drohe sie aber auch Sanktionen an oder könnte diese aussprechen. «Dies könnte auch Grund dafür sein, warum das Vertrauensverhältnis oft auch mit dem individuellen Kontakt zum jeweiligen Sachbearbeiter Hand in Hand geht», sagt Pressesprecher Philipp Stielow. Unabhängig davon empfänden viele das Beantragen von Leistungen als sehr bürokratisch und schwierig. Menschen etwa mit schlechten Schreib- oder Sprachkenntnissen seien überfordert.

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