So., 12.12.2021 , 10:30 Uhr

Lorsch: 30 Jahre Unesco-Welterbe Kloster Lorsch - viele Fragen offen

Das karolingische Tor ist Monument einstiger Macht und vergangenen Reichtums – und es ist das letzte vollständig erhaltene Gebäude. Die Ruine einer Kirche und Reste einer Klostermauer – das ist alles, was von einem Machtzentrum des frühen Mittelalters im kleinen südhessischen Lorsch übrig ist. Ein Ort fast ohne Gebäude, schwer greifbar, in seiner Geschichte aber mit einer ergreifenden Faszination.

Herrscher wie Karl der Große (bis 814), Adelige, ein Papst waren hier. Könige sind hier begraben und doch gibt es jede Menge offene Fragen. Vor 30 Jahren wurde das Kloster Lorsch am 13. Dezember die erste von heute insgesamt sieben Weltererbestätten der Unesco in Hessen. Der für diesen Montag geplante Festakt zum Jubiläum musste wegen der Corona-Pandemie verschoben werden. Er soll nun nach Angaben der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen am 13. Juni kommenden Jahres stattfinden.

«Lorsch ist um 780 ein Name, den jeder Aristokrat, jeder Gelehrte kennt», sagt der Leiter der Welterbestätte, Hermann Schefers. Wie zu diesem Zeitpunkt das Kloster ausgesehen hat, ist allerdings ein Rätsel. «Wir haben überhaupt keine Vorstellung, wie das karolingische Kloster ausgesehen haben könnte.» Weder der Grundriss noch der Standort der Kirche und auch anderer Gebäude seien bekannt. Ausgegraben sei auch erst etwa ein Drittel der ehemaligen Klosterfläche. Die restliche Fläche freizulegen ist indes nicht geplant. «In intakten Bereichen werden wir nicht graben, da schaut auch die Unesco drauf», sagt Schefers.

Gegründet wurde das Kloster im 8. Jahrhundert. Unter Karl dem Großen wurde es zum Königskloster und fortan begann der Machtzuwachs mit mehr als 3000 Besitzungen von der heutigen Schweiz bis nach Ostfriesland. Das Kloster war im Mittelalter zwischenzeitlich so mächtig, dass es im Kriegsfall auch Panzerreiter abstellen musste – Elitesoldaten. Alles ist dokumentiert im Lorscher Codex, der heute in Würzburg liegt. «Hätten wir das nicht mehr, wir wüssten fast nichts über das Kloster», sagt Schefers.

Im Durchschnitt lebten Schefers zufolge 50 bis 60 Mönche im Kloster. Im Zuge der Reformation sei es 1556 aufgelöst worden. 13 Jahre später seien dann auch die letzten Mönche gegangen. Auch die einst umfassende und wertvolle Bibliothek ist in alle Himmelsrichtungen zerstreut – verkauft, verschenkt, geklaut. «Sie ist zerstreut, aber eigentlich auch in guten Händen», erzählt der 59 Jahre alte Historiker, der 1992 kurz nach der Ernennung zum Welterbe nach Lorsch kam. «Der größte Teil ist in der Vatikan-Bibliothek.» Mittlerweile seien die Schriften in Zusammenarbeit mit der Universität Heidelberg digitalisiert. Das Welterbe Kloster Lorsch hat heute noch genau eine Originalseite der ehemaligen Bibliothek. Vor Jahren wurde bei einer Auktion in London die Seite eines Evangeliars für satte 270 000 englische Pfund ersteigert.

Bildung und Vermittlung, Museumspädagogik mit Workshops und das Freilichtlabor Lauresham seien Standbeine des Welterbes. Auf dem gut vier Hektar großen Labor gibt es Geschichte zum Anfassen. Hier wird experimentiert, wie das Leben und der Alltag auf einem zum Kloster gehörenden Zentralhof ausgesehen haben könnte. «Lauresham bietet uns tolle Möglichkeiten auch zu forschen, Fragestellungen auch im Experiment nachzugehen und das auch über Jahre», sagt Schefers. «Im eigentlichen Kloster vermisst man das Anzufassende, um es zu begreifen, braucht man Lauresham. Dort könne man erklären, wie wirtschaftliche Grundlagen im Mittelalter erschaffen wurden.

Die Investitionen seit der Verleihung des Welterbestatus 1991 schätzt Schefers auf 20 bis 25 Millionen Euro. Als er 1992 gekommen sei, sei das Museum noch eine Baustelle gewesen. «Das Klostergelände kann man sich gar nicht mehr vorstellen, das war so ein verwilderter Stadtpark», sagt der Historiker, der sichtlich in seiner Arbeit aufgeht. Auch die heute sehr komplizierte Bewerbung sei damals kein Problem gewesen. Das seien fünf Seiten gewesen, man habe nachbessern müssen, dann seien es sieben Seiten gewesen. «Der Hype war damals überhaupt nicht. Das war Spinnerei von so ein paar Geschichtsfreaks oder Denkmalleuten.» Heute sei es ein Standortfaktor. Zum Vergleich: Die jahrelange Bewerbung der unlängst in das Welterbe aufgenommenen Mathildenhöhe in Darmstadt kostete nach Angaben der Stadt allein rund 600 000 Euro.

Die Deutsche Unesco-Kommission würdigt auf ihrer Homepage das Kloster und die Torhalle als letztes vollständig erhaltenes Gebäude. «Sie ist eines der wenigen Denkmäler aus der Zeit der Karolinger, das über die Jahrhunderte hinweg sein ursprüngliches Aussehen bewahrt hat und an die vergangene Größe eines einst mächtigen Klosters und seiner weitgreifenden Verbindungen in der Welt erinnert.»

Über die Jahre verfiel das Kloster. Gemäuer wurden für den Bau anderer Häuser benutzt. «Wir finden Klostersteine im Umkreis von sieben Kilometern», sagt Schefers. Der Versuch einer Rekonstruktion des Klosters in karolingischer Zeit wäre spekulativ und unwissenschaftlich. Bei aller Forschung, bei allen Investitionen, sind für das Kloster Lorsch noch viele Fragen offen. So ist unklar, wo die Königsgräber sind. Zwar hat man einen Sarkophag, in dem der Enkel Karls, König Ludwig der Deutsche (bis 876) beigesetzt worden sein könnte. Doch die Leiche des Herrschers fehlt.

«Ich habe keine große Hoffnung, dass es noch Funde gibt, die viel neuen Aufschluss bringen», sagt Schefers. Auch die Torhalle als letztes vollständig erhaltenes Gebäude gibt Rätsel auf. Die frühere Klostermauer war hier Meter entfernt. Schefers: «Wir haben keine Ahnung über die Funktion des Torbogens. Man weiß nichts über die Nutzung.»

Kloster Lorsch

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