Fr., 04.08.2023 , 17:37 Uhr

Jutta Steinrucks krachender Parteiaustritt und die Folgen

Ludwigshafen: Frau Oberbürgermeisterin haut auf den Tisch

Erst der SPD-Austritt, dann der brachiale Verbalhieb gegen Sozialdemokraten und Landesregierung: Die Ludwigshafener Oberbürgermeisterin Jutta Steinrück hat den Sozialdemokraten in Rheinland-Pfalz und der SPD-geführten Ampel-Koalition unruhige Tage beschert. Eine ihrer Kernbotschaften Richtung Mainz ist, dass sie sich in Finanz- und Bildungspolitik nicht genügend unterstützt fühlt. Die Landesregierung und die SPD betonten nun, was alles für die zweitgrößte Stadt des Landes getan wird und mahnen einen gemeinsamen Angang der Probleme an. Die Opposition sieht sich in zentralen Punkten Steinrucks bestätigt.

Steinruck: „Weckruf“ in Richtung SPD

Am Dienstag hatte die 60-Jährige ihren Parteiaustritt noch bekanntgemacht, ohne nähere Gründe zu nennen. In einer Stellungnahme
gegenüber dem SWR am Donnerstag und einer weiteren Stellungnahme auf Facebook am Freitag war das dann anders. Sie wolle ihren Schritt als „Weckruf“ in Richtung SPD in Land und Bund verstehen, betonte Steinruck. Ein „weiter so“ könne sie nicht mehr hinnehmen. Steinruck monierte eine zu geringe Finanzausstattung der Kommunen durch das Land. Sie warnte angesichts klammer kommunaler Kassen und der Auflagen der Kommunalaufsicht vor einem „sozialen Kahlschlag“ und „immensen sozialen Verwerfungen“. Die Angst davor habe sie mehrfach an die Regierung herangetragen und um mehr Hilfe gebeten. „Doch diese Hilfe wurde uns, wie man erkennen kann, konsequent verweigert.“ Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sei gewesen,
dass das für Bildungspolitik zuständige Land die Situation einer Industriestadt wie Ludwigshafen mit ihrer Sozialstruktur nicht wahrhaben wolle. „All das wird ignoriert, obwohl die Schulen – nicht nur die Gräfenauschule – nicht erst in den zurückliegenden Monaten um Hilfe gerufen haben“, schrieb Steinruck auf Facebook. An der Grundschule Gräfenau müssen nach früheren Angaben der Rektorin 39 der 126 Erstklässler das Schuljahr wiederholen. Die Probleme am Schulstandort Hemshof, der von vielen als sozialer Brennpunkt bezeichnet wird und wo viele Menschen mit Migrationshintergrund leben, hatte überregional für Aufsehen gesorgt. Viele der Kinder sprechen etwa schlecht Deutsch.

Ministerien und Partei reagieren: „Herausfordernde Situation in Ludwigshafen“

Aus dem von Stefanie Hubig (SPD) geführten Bildungsministerium hieß es am Freitag: „Es steht außer Frage, dass Ludwigshafen schon seit längerer Zeit vor einer besonderen und besonders herausfordernden Situation steht.“ Dort seien zusätzliche Lehrerstellen geschaffen und mehr Hausaufgabenhilfen ermöglicht worden, Schulleitungen erhielten Coachings, erklärte ein Sprecher. Für die Grundschule Gräfenau werde etwa ein wissenschaftlich begleitetes Programm aufgelegt, in dem Erstklässler beim Start ins Schulleben unterstützt würden.
Das Innenministerium teilte mit, Ludwigshafen könne in diesem Jahr aus dem Kommunalen Finanzausgleich (KFA) etwa 41 Millionen Euro mehr erwarten. Mit Steinruck habe der Stadtrat einen Kurs der Konsolidierung eingeschlagen. Das Geld aus dem KFA und dieser Kurs seien Voraussetzung dafür, dass der Haushalt Ludwigshafens inzwischen genehmigt sei. „Damit ist die Stadt handlungsfähig.“ Ludwigshafen könne am Entschuldungsprogramm teilnehmen und rechnerisch bis zu 503 Millionen Euro an Entlastung erwarten. Die Landesregierung sei und bleibe ein verlässlicher Partner der Stadt.
Der Generalsekretär der rheinland-pfälzischen Sozialdemokraten, Marc Ruland, meinte, Steinrucks Austritt werde „weder ihr noch Ludwigshafen helfen, die großen Herausforderungen der Stadt besser zu lösen“. In der Politik könne man nichts allein aber fast alles gemeinsam schaffen. „Die Menschen in Ludwigshafen dürfen von allen politisch Verantwortlichen erwarten, dass sie den Weg der Konsolidierung konstruktiv und mit aller Kraft“ weitergehen, betonte Ruland. Dabei werde die SPD weiterhin ihre Verantwortung wahrnehmen. „Sie bleibt mit 17 Sitzen die größte Fraktion im Stadtrat, sie stellt zwei Dezernenten sowie sechs von zehn Ortsvorstehern.“

Opposition: Landesregierung versagt im Umgang mit Kommunen

Der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Freien Wähler, Joachim Streit, sagte, Steinrucks Verhalten und die Geschehnisse im
pfälzischen Freisbach zeigten „die großen Linien des Versagens der Landesregierung im Umgang mit ihren Kommunen“. In Freisbach haben der ehrenamtliche Ortsbürgermeister sowie der Ortsgemeindebeirats ihren Rücktritt angekündigt und das damit begründet, dass die Kommunalaufsicht den Haushalt der Gemeinde nicht genehmige. Es sei unmöglich, mit Ausgabenkürzungen oder Steuererhöhungen einen Haushaltsausgleich hinzubekommen. Es müsse eine Neuregelung des Kommunalen Finanzausgleichs her, forderte Streit. (dpa/wg)

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