Fr, 08.09.2023 , 10:35 Uhr

Mannheim: Kritik am Umgang mit Klimaaktivisten – Welche Befugnisse hat die Polizei?

Immer wieder landen Aktivisten der Letzten Generation nach ihren Protestaktionen auf dem Polizeirevier. Ist das erlaubt? Und welche Befugnisse haben die Beamten dann beispielsweise im Hinblick auf Leibesvisitationen?

Von Marco Krefting, dpa

Mannheim. Jetzt wird’s ganz grundsätzlich: Nach einem Klima-Protest in Mannheim hat die Gruppierung Letzte Generation Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Es geht dabei nicht nur um eine Beamtin, die einem Video zufolge Öl über den Kopf einer Aktivistin geschüttet hat. Es geht auch um das Verhalten im anschließenden Polizeigewahrsam, einer polizeilichen Standardmaßnahme. Die Polizei untersucht die Vorwürfe und will alle Beteiligten hören. Doch um was handelt es sich dabei, und was ist im Polizeigewahrsam erlaubt?

Wann werden Menschen in Gewahrsam genommen?

Das regeln nach Auskunft des Rechtsprofessors Matthias Jahn von der Goethe-Universität Frankfurt die Landespolizeigesetze und die Strafprozessordnung. «Voraussetzung ist, dass von dem Aktivisten eine Gefahr ausgeht oder ein Straftatverdacht besteht.» Für die Mitnahme zur Wache genüge der Anfangsverdacht, und dessen Schwelle liege in der Praxis niedrig. «Die schiere Möglichkeit, dass Straftaten vorliegen könnten, genügt. Damit werden für das weitere Strafverfahren die Maßnahmen zur Personalienfeststellung legitim.»

Nach Paragraf 33 des Polizeigesetzes Baden-Württemberg kann die Polizei dem Wortlaut nach eine Person unter anderem dann in Gewahrsam nehmen, wenn eine unmittelbar bevorstehende erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit auf andere Weise nicht verhindert oder eine schon eingetretene erhebliche Störung nicht beseitigt werden kann.

Sind Leibesvisitationen Standard im Polizeigewahrsam?

Im Paragraf 34 des Polizeigesetzes ist die Durchsuchung von Personen geregelt. Hiernach kann die Polizei einen Menschen durchsuchen, wenn er beispielsweise in Gewahrsam genommen werden darf oder Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass er Sachen dabeihat, die sichergestellt oder beschlagnahmt werden dürfen. Nach Paragraf 102 der Strafprozessordnung können eine Straftäterin oder ein Straftäter und ihre beziehungsweise seine Sachen durchsucht werden, wenn zu vermuten ist, dass dabei Beweismittel gefunden werden.

Das Mannheimer Präsidium erklärte, gemäß der Gewahrsamsordnung der Polizei Baden-Württemberg muss eine Person vor einer Verwahrung in der Gewahrsamseinrichtung erneut durchsucht werden. Laut Jahn sind Leibesvisitationen zulässig, wenn sie verhältnismäßig sind. «Hier kommt es immer auf alle Umstände des Einzelfalles an.» Häufig seien Aspekte der Gefährdung ausschlaggebend, etwa durch eingeschmuggelte Waffen, aber auch solche der Selbstgefährdung in der Gewahrsamszelle durch eingeschmuggelte Alltagsgegenstände wie Feuerzeuge.

Macht es einen Unterschied, um welche Art von Demonstration oder Protestaktion es geht?

Jeder Fall liegt Jahn zufolge anders. «Die Polizei hat einen von den Gerichten in einem späteren Verfahren nicht vollständig nachprüfbaren Spielraum für ihre situativen Entscheidungen.»

Laufen Leibesvisitationen immer nach denselben Vorgaben ab, oder in welchem Fall muss man sich wie weit ausziehen?

Dafür gibt es keine allgemeinen Regeln, wie Jahn erklärte. «Die Vorgaben für den Ablauf ergeben sich aus dem Einzelfall und werden von den Gerichten nur auf grobe Unverhältnismäßigkeit hin überprüft.» Eine erniedrigende Behandlung stehe vor allem dann im Raum, wenn die Intimsphäre der Beschuldigten nicht genügend geachtet wird. Hier können die Umstände der Inhaftierung und das Personal eine Rolle spielen, etwa wenn es die Betroffenen einem Gefühl der Demütigung aussetzt.

«Für eine vollständige Entkleidung müssen allerdings gewisse Voraussetzungen erfüllt sein», erklärte die Polizei. «Beispielsweise wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass die Person Sachen mit sich führt, die sichergestellt oder beschlagnahmt werden müssen.» Die Anhaltspunkte könnten sich aus dem Verhalten und Äußerungen der Person ergeben. Anlass könnten aber auch Beobachtungen der Beamten sein, etwa von erkennbaren Umrissen von Gegenständen unter der Kleidung. Hauptsächlich gehe es dabei um Gegenstände, von denen eine Gefahr für die Person selbst oder andere ausgeht.

Gibt es Vorgaben, wo die Leibesvisitation stattfinden muss?

Nein. «Natürlich muss stets auf die möglichst grundrechtsschonende Durchführung geachtet werden, gerade auch mit Blick auf die Intimsphäre von Beschuldigten jeden Geschlechts», erklärte Jahn. Was daraus im Einzelfall konkret folgt, werde von Gerichten – auch bei den Verfassungs- und Menschenrechtsgerichten in Karlsruhe und Straßburg – aber nur am jeweiligen Fall konkretisiert.

Dürfen Polizistinnen und Polizisten den Betroffenen die Unterwäsche ausziehen, wenn diese das nicht wollen?

Die Mannheimer Polizei erklärt hierzu: «Polizeiliche Maßnahmen können selbstverständlich auch ohne Einverständnis der Betroffenen oder des Betroffenen durchgeführt werden.» Jahn wägt eher ab: «Auch hier gilt wieder: Jeder Fall liegt anders.» Nach einer Drogenrazzia im Rotlichtmilieu könne das eher naheliegen, nach der Festnahme wegen einer Steuerstraftat im Bankenmilieu eher nicht. «Bei Maßnahmen gegen Aktivisten der Letzten Generation wäre ich auf mögliche Begründungen der Polizei gespannt. Denn wer handelt, trägt die Begründungslast», erklärte er. «Das gilt auch und gerade für die Polizei nach besonders invasiven Zwangsmaßnahmen.»

Gibt es ein Zeitlimit, wie lange Menschen größtenteils unbekleidet bleiben dürfen?

Nein, es gibt keine starren Fristen. «Aber die Maßnahme muss über den ganzen Zeitraum erforderlich sein – und das muss die Polizei auch begründen können», so Jahn. Intensität und Dauer ergeben sich laut der Polizei aus dem Einzelfall und müssen verhältnismäßig sein.

Welche Rolle spielt das Alter bei Fragen von Gewahrsam und Leibesvisitationen?

Auch hier gibt es Jahn zufolge kein starres Regelwerk. «Bei besonders schutzbedürftigen Personen wie Minderjährigen, sehr alten Menschen, einem Baby und seiner Mutter oder einem Sturzbetrunkenen, der sich selbst nicht zu helfen weiß, sind die Schutzpflichten aber naturgemäß umfangreicher als bei einem Durchschnittsbeschuldigten.» (dpa)

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