Es ist fünf vor zwölf. Es brennt lichterloh beim Rhein-Neckar Fernsehen.
Wenn bis Freitag, 19. Dezember 2025, keine kurzfristige finanzielle Lösung gefunden wird, müssen wir den Sendebetrieb einstellen.
Damit stünde die Metropolregion Rhein-Neckar vor dem Verlust einer Institution, die seit fast vier Jahrzehnten für unabhängigen, regionalen Journalismus steht.
Das Interview von Laura Grimm mit Tobias Wahl, dem vorläufigen Insolvenzverwalter, und RNF-Chefredakteur Ralph Kühnl beleuchtet das Spannungsfeld, in dem der regionale TV-Journalismus sich bewegt.
RNF zwischen Insolvenz und Auftrag: Warum regionaler Journalismus mehr ist als ein Geschäftsmodell
Ein Studiotalk bei RNF Life wird zur Grundsatzdebatte über Medien, Demokratie und die Zukunft regionaler Öffentlichkeit.
Das Rhein-Neckar Fernsehen steht vor seiner größten Bewährungsprobe. In einer ungewöhnlich offenen Ausgabe von RNF Life sprechen Insolvenzverwalter Tobias Wahl und Chefredakteur Ralph Kühnl über die wirtschaftliche Schieflage des Senders – und über die Frage, warum es sich lohnt, um ihn zu kämpfen. Das Gespräch ist nüchtern, stellenweise schonungslos, zugleich aber getragen von der Überzeugung, dass hier mehr auf dem Spiel steht als ein einzelnes Medienunternehmen.
Führungslosigkeit und finanzielle Leere
Tobias Wahl beschreibt die Ausgangslage präzise. Nach dem plötzlichen Tod von Joachim Schulz Anfang November war die RNF Pro GmbH faktisch handlungsunfähig. Schulz war nicht nur alleiniger Gesellschafter, sondern auch alleiniger Geschäftsführer – und der einzige, der Zugriff auf Buchhaltung, Zahlungsverkehr und Konten hatte. Für Belegschaft und Redaktion bedeutete das: keine Transparenz, keine Steuerungsmöglichkeit, keine Klarheit über die wirtschaftliche Situation.
Ein Gläubiger stellte schließlich einen Insolvenzantrag. Das Amtsgericht Mannheim bestellte Wahl am 1. Dezember zum sogenannten starken vorläufigen Insolvenzverwalter. Diese Rolle erlaubt ihm, wie ein Geschäftsführer zu agieren, Konten einzusehen und die finanzielle Lage zu rekonstruieren. Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme ist ernüchternd: Es ist kaum Liquidität vorhanden, während täglich Kosten anfallen – für Miete, Technik, Leasingverträge, Infrastruktur und den laufenden Sendebetrieb.
Gleichzeitig hebt Wahl die Haltung der Mitarbeitenden hervor. Trotz ausstehender Gehälter, die zunächst über Insolvenzgeld abgesichert werden mussten, erlebe er eine außergewöhnlich hohe Identifikation mit dem Sender. Diese Motivation könne die wirtschaftliche Realität jedoch nicht ausgleichen. Kurzfristig brauche es Geld von außen – nicht als Investition mit Renditeversprechen, sondern als Überbrückung, um Zeit für ernsthafte Investorengespräche zu gewinnen. Interesse gebe es, sagt Wahl, aber nicht im Tempo weniger Tage.
„Dienst am Gemeinwesen“
Ralph Kühnl spricht im Studiotalk weniger über Zahlen als über Haltung. Seine Argumentation folgt einer klaren Linie: RNF versteht sich als regionales Nachrichtenmedium mit einem demokratischen Auftrag. Ziel sei es, Transparenz zu schaffen und Zusammenhänge sichtbar zu machen – politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich. Dahinter steht eine Überzeugung, die Kühnl ausdrücklich benennt: Gut informierte Menschen treffen bessere Entscheidungen.
Er verweist auf Studien, die zeigen, dass dort, wo Medienvielfalt schwindet, auch demokratische Beteiligung abnimmt. Wahlbeteiligung sinkt, lokale Politik gerät aus dem Blick, Kontrollmechanismen verschwinden. RNF, so Kühnl, erfülle genau diese Kontrollfunktion. Die regelmäßige Berichterstattung aus Gemeinderäten, Gespräche mit dem Oberbürgermeister, kritisches Nachfragen – all das sei Teil dessen, was Journalisten traditionell als „vierte Gewalt“ bezeichnen. Nicht als Machtinstrument, sondern als notwendige Gegenkraft.
Nähe als Vertrauensfaktor
Ein zentrales Argument Kühnls ist die regionale Verankerung. Berichterstattung bei RNF ist unmittelbar überprüfbar. Zuschauerinnen und Zuschauer sehen, ob das Gezeigte ihrem Alltag entspricht. Diese Nähe schaffe Vertrauen – und erkläre, warum der Sender trotz klarer Positionierungen vergleichsweise wenig Aggression oder Hass erfahre. Kommentare würden klar von der Berichterstattung getrennt, Meinungen als solche gekennzeichnet. Das Publikum könne sich ein eigenes Urteil bilden.
Besondere Bedeutung misst Kühnl dabei dem Medium Fernsehen bei. Bilder lassen sich nicht beliebig interpretieren oder beschönigen. Sie zeigen Zustände. Während Texte beschreiben, dokumentiert das Bewegtbild. Dieser Umstand, so Kühnl, sei ein struktureller Vorteil des Fernsehens – gerade im regionalen Kontext, wo Glaubwürdigkeit entscheidend ist.
Identität für eine Region
RNF versteht sich nach Kühnls Worten als identitätsstiftender Faktor für die Metropolregion Rhein-Neckar. Ein 24-Stunden-Regionalsender könne Tiefe herstellen, Zusammengehörigkeit vermitteln und Orientierung bieten – insbesondere in Zeiten gesellschaftlicher Unsicherheit. Kühnl spricht ausdrücklich von einem Dienst am Gemeinwesen: Journalismus soll helfen, Entwicklungen einzuordnen, politische Entscheidungen nachvollziehbar zu machen und das Gefühl zu stärken, Teil eines gemeinsamen Raums zu sein.
Öffentlich relevant, privat finanziert
Gleichzeitig benennt Kühnl das strukturelle Dilemma. RNF ist ein privates, werbefinanziertes Medium – ohne Abo-Modell, ohne Rundfunkbeitrag, ohne institutionelle Grundfinanzierung. Während Zeitungen ihre Erlöse über höhere Abopreise stabilisieren konnten und der öffentlich-rechtliche Rundfunk auf Gebühren zurückgreift, bleibt dem Privatfernsehen allein der Werbemarkt.
Kühnl kritisiert, dass viele Unternehmen ihre Budgets lieber bei Plattformen wie Facebook oder Instagram platzieren. Dabei sei Fernsehwerbung bei RNF nachweislich günstiger und erreiche täglich zwischen 120.000 und 150.000 Menschen. Die Entscheidung gegen regionale Fernsehwerbung sei faktisch auch eine Entscheidung gegen diese Zielgruppe.
Besonders deutlich wird er, wenn er die Größenordnung benennt: Drei bis vier zusätzliche Werbespots pro Sendung würden ausreichen, um den Betrieb zu stabilisieren. Ideen und innovative Werbeprodukte seien vorhanden, oft sogar ihrer Zeit voraus. Doch schrumpfende Budgets in der regionalen Wirtschaft erschwerten deren Umsetzung.
Mehr als ein Sender
Am Ende des Gesprächs richtet Kühnl den Blick über RNF hinaus. Seine Sorge gilt der Medienvielfalt insgesamt. Sollte RNF verschwinden, könnte dies erst der Anfang sein. Wenn lokale Stimmen verstummen, verliert die Region nicht nur ein Informationsangebot, sondern ein Stück demokratischer Infrastruktur. Die Folgen für gesellschaftlichen Zusammenhalt, politische Kultur und wirtschaftliche Entwicklung seien aus seiner Sicht kaum absehbar.
Der Studiotalk macht deutlich: Hier geht es nicht nur um Insolvenzrecht und Liquidität, sondern um die Frage, welchen Wert regionaler Journalismus in einer fragmentierten Medienlandschaft hat. Tobias Wahl beschreibt das enge Zeitfenster, Ralph Kühnl den größeren Zusammenhang. Zusammen zeichnen sie das Bild eines Senders, der wirtschaftlich am Abgrund steht – und journalistisch einen Anspruch formuliert, der weit über ihn selbst hinausweist.