Wildes Stimmengewirr. Unterschiedliche Sprachen. Gerüchte. Desinformation. Genau so zeigt es das Stück Propaganda, das am 3. Oktober im Alten Saal des Theaters Heidelberg Premiere feiert. Es ist der Auftakt für das Theaterwochenende „Especial ¡Adelante!“ – eine kompaktere Ausgabe des bekannten Iberoamerikanischen Theaterfestivals, das Heidelberg seit 2017 geprägt hat.
„Das Hauptthema von Propaganda hat mit dem Aufstieg der neuen Rechten in der Welt zu tun, verortet in Deutschland und in Chile“, sagt Regisseurin Ana Luz Ormazábal. „Beide Länder leiden unter einer gewissen verschwörungstheoretischen Vorstellung, die mit dem ‚großen Austausch‘ zu tun hat, einer Theorie, die René Camus entwickelt hat, die besagt, dass es keine Einheimischen mehr geben wird, sondern nur noch Migranten. Und das ist heute und immer problematisch.“
Das Stück ist in enger Zusammenarbeit chilenischer und deutscher Künstlerinnen und Künstler entstanden – eine Koproduktion mit dem Kulturzentrum Gabriela Mistral in Santiago de Chile und dem Goethe-Institut. Wochen intensiver Arbeit in Chile, Heidelberg und an anderen Stationen in Europa haben zu einer Inszenierung geführt, die aktuelle politische Debatten mit historischen Erfahrungen verknüpft.
Doch Especial ¡Adelante! ist mehr als eine Premiere. Das dreitägige Theaterwochenende bringt Stimmen aus Mexiko, Peru und Uruguay nach Heidelberg – mit hochpolitischen Themen und ungewöhnlichen ästhetischen Formen.
In der Installation „Costumes to Avoid Disappearance“ beschäftigt sich die mexikanische Künstlerin Sabina Aldana mit dem Verschwindenlassen von Menschen in ihrem Land – ein Phänomen, das inzwischen über 127.000 Opfer betrifft.
Die Lesung „Reservoir Bitches / Über das Verschwinden“ von Dahlia de la Cerda greift dieses Thema literarisch auf. Frauen, die jede Opferrolle ablehnen, stehen hier im Mittelpunkt.
In der Performance „Non Fuckable Tokens (NFTs)“ aus Peru zeigt Claudix Vanesix, wie digitale Avatare, Gaming-Kultur und künstliche Intelligenz Identitäten prägen – und wie Fragen nach Gender und „Race“ auch im virtuellen Raum Machtverhältnisse bestimmen.
Mit „Sea of Silence“ präsentiert die uruguayische Choreografin Tamara Cubas eine Tanzproduktion über die Migrationswege von Frauen, über ihre Resilienz, ihren Überlebenswillen und ihr Aufbegehren gegen das Patriarchat.
„Was wir gesucht haben, ist die Linie vom Adelante-Festival von den letzten drei Ausgaben auf gewisse Art weiterzuführen“, erklärt Kuratorin Ilona Goyeneche. „Indem wir wirklich Fokus machen auf Themen, die dringlich sind, die wichtig sind in Lateinamerika – und aber auch auf Künstlerinnen, die herausragend sind in ihren jeweiligen Ländern. So kann man interessante und herausfordernde Performances sehen.“
Für Intendant Holger Schultze ist Especial ¡Adelante! ein besonderes Ereignis – und zugleich ein Abschied. Seit 2017 hat er das Festival in Heidelberg etabliert. Nach den Ausgaben 2017, 2020 und 2022 ist 2025 die vierte und letzte Ausgabe.
„Ich denke, das Interessante ist ja, dass gerade in Iberoamerika andere Arbeitsweisen sind“, sagt Schultze. „Zum Teil sind die Menschen viel mehr, weil sie Stücke entwickeln. Einen Kanon, wie wir ihn haben, gibt es dafür weniger. Viel mehr Impuls der Zeit. Da, glaube ich, haben wir viel gelernt, wie Sachen hinterfragt werden. Und das andere sind natürlich Theaterästhetiken, also wie mutig Theater gemacht wird.“
Neben den Aufführungen gehören Publikumsgespräche, Lesungen und eine große Festivalparty mit Live-Konzert der Band El Flecha Negra zum Programm. Damit soll Especial ¡Adelante! nicht nur politische Themen aufgreifen, sondern auch ein Ort der Begegnung zwischen Künstlerinnen, Künstlern und Publikum sein.
Vom 3. bis 5. Oktober 2025 lädt das Theater Heidelberg dazu ein, diese künstlerischen Stimmen aus Lateinamerika zu erleben – kompakt, hochpolitisch und voller Energie.
Alle Informationen und Tickets gibt es unter: www.theaterheidelberg.de