So., 10.09.2023 , 11:09 Uhr

Wiesloch: 33-Jähriger nach tödlichem Messerangriff wieder in Psychiatrie – SPD will Sondersitzung im Landtag

Nach einem tödlichen Messerangriff auf eine Frau in Wiesloch ist der tatverdächtige 33-Jährige wieder in eine Psychiatrie gekommen. Ob es dieselbe ist, aus der er vor der mutmaßlichen Tat am Freitag geflohen war, vermochte ein Polizeisprecher am Sonntag nicht zu sagen.

Anstelle eines Haftbefehls hatte ein Richter am Samstag einen sogenannten Unterbringungsbefehl gegen den Mann erlassen. Das wird gemacht, wenn jemand eine rechtswidrige Tat vermutlich im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit begangen hat und in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt – statt in einem Gefängnis – untergebracht werden soll.

Der Mann soll am Freitag aus dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden in Wiesloch geflohen sein. In einem Geschäft in der Innenstadt soll er eine 30-Jährige derart verletzt haben, dass sie im Krankenhaus starb.

Er hatte die fünfte von neun Lockerungsstufen erreicht, sagte Christian Oberbauer, Medizindirektor des Maßregelvollzugs am PZN der Deutschen Presse-Agentur. Damit durfte er die Station in Begleitung verlassen. Entweichungen wie jene am Freitag gebe es im Schnitt fünfmal pro Jahr. «Aber so ein Ereignis haben wir noch nie gehabt», sagte der Chefarzt. «Das Ende ist katastrophal gewesen.» Alle in der Klinik zerbrechen sich seinen Angaben nach seither den Kopf. «Jeder ist erschüttert und fassungslos», sagte Oberbauer. Er habe weinende Oberärzte auf den Stationen gesehen. «Es ist ein Ereignis, das wir in keinster Weise vorhergesehen haben.»

Jede Entweichung werde nachgearbeitet, man habe einen Krisenstab eingerichtet. Als Sofortmaßnahme seien die Ausgänge auf den Stationen eingeschränkt worden. Das solle aber nicht auf Dauer so bleiben, sagte Oberbauer. Seinen Angaben zufolge wird wegen des Vorfalls nicht gegen das PZN oder einzelne Mitarbeitende ermittelt.

Die Landtags-SPD fordert nach der tödlichen Messerattacke in Wiesloch eine Sondersitzung zum Maßregelvollzug. Sozialminister Manne Lucha (Grüne) müsse dem Sozialausschuss Rede und Antwort stehen, wie es zur Flucht des tatverdächtigen Psychiatrie-Patienten mit den tragischen Folgen kommen konnte, sagte SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl am Sonntag. «Er muss vor den Abgeordneten und der Öffentlichkeit erklären, was passiert ist, wie was möglich war und welche Maßnahmen er ergriffen hat, um weitere Taten zu vermeiden.» Eine solche Sitzung könnte schon am Freitag stattfinden, teilte die SPD-Fraktion mit.

«Erst vor wenigen Wochen habe ich die Einrichtung in Wiesloch selbst besucht», sagte Wahl. «Und ich habe die fatale bauliche Situation erlebt sowie den massiven Personal- und Platzmangel – gerade auch im Maßregelvollzug.» Minister Lucha wisse von diesen Zuständen seit Jahren und habe es nicht vermocht, die Situation zu entlasten. «Er ist nun in der Verantwortung lückenlos darlegen zu können, dass die chronische Unterfinanzierung der Psychiatrie, die seit Jahren nicht ausreichenden Plätze für den Maßregelvollzug nicht ursächlich waren für den schrecklichen Vorfall in Wiesloch», sagte Wahl.

Der Justizexperte der SPD-Fraktion, Boris Weirauch, forderte von der Landesregierung auch eine Antwort darauf, warum die Bevölkerung nicht gewarnt worden sei. «Eine Warnung hätte die Menschen in Wiesloch sensibilisiert, stattdessen war man arglos der Gefahr ausgeliefert.»

Er kritisierte die Landesregierung auch mit Verweis auf eine Vielzahl geflüchteter Menschen aus psychiatrischen Einrichtungen in den vergangenen Jahren. «Es war leider zu befürchten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis etwas Schlimmes passieren würde.» (dpa)

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